Deutliche Konjunkturabkühlung auch in der Schweiz - Hohe Nervosität an den Finanzmärkten birgt zusätzliche Risiken
Konjunkturtendenzen und Prognosen der Expertengruppe Konjunkturprognosen des Bundes – Herbst 2011. Die Konjunkturperspektiven für die Schweiz haben sich in den letzten Monaten noch weiter eingetrübt. Ausschlaggebend hierfür sind die ungünstigen aussenwirtschaftlichen Rahmenbedingungen, namentlich die ausgeprägte Abkühlung der Weltkonjunktur sowie der – auch nach Einführung der Wechselkursuntergrenze zum Euro – hoch bewertete Schweizer Franken. Die negativen Auswirkungen auf Exporte und Unternehmensinvestitionen dürften das wirtschaftliche Wachstum in der Schweiz vorübergehend stark bremsen. Die Expertengruppe des Bundes prognostiziert daher für das Jahr 2012 nur noch ein BIP-Wachstum von 0,9% (nach 1,9% für 2011). Als Folge der konjunkturellen Schwächephase dürfte die Arbeitslosigkeit im kommenden Jahr erstmals seit 2009 wieder zunehmen. Ein Risiko für eine noch deutlich schlechtere Konjunkturentwicklung mit rezessiven Tendenzen könnte sich vor allem im Fall weiterer starker Finanzmarktturbulenzen infolge der angespannten europäischen Schuldenkrise ergeben.
Internationale Konjunktur
Die Aussichten für die internationale Konjunktur haben sich in den letzten Monaten verdüstert. Im Juli und im August kam es an den Finanzmärkten wegen der ungelösten politischen Bewältigung der Staatsschuldenprobleme im Euroraum zu weiteren Vertrauensverlusten und erheblichen Marktturbulenzen. Auch die realwirtschaftlichen Indikatoren konnten sich diesen Einflüssen nicht entziehen: In vielen Ländern trübte sich die Stimmung bei Unternehmen und Konsumenten deutlich ein.
Vor allem für den Euroraum präsentiert sich der Konjunkturausblick für die nächsten Quartale äusserst verhalten. Angesichts der jüngsten starken Abwärtsdynamik der Frühindikatoren bestehen sogar erhöhte Rezessionsrisiken, auch wenn ein bescheidenes Wachstum für den gesamten Euroraum derzeit immer noch als wahrscheinlichstes Prognoseszenario für 2012 erscheint. Auch den bisherigen Wachstumstreibern wie Deutschland steht wegen eingetrübter Exportaussichten eine konjunkturelle Abkühlung bevor. Weitaus gravierender sind die Probleme in den unter hoher Verschuldung und schwacher Wettbewerbsfähigkeit leidenden Peripherieländern, in denen kurzfristige staatliche Sparprogramme bzw. Steuererhöhungen die ohnehin schwache Konjunktur noch zusätzlich bremsen könnten. Für die USA erscheint die kurzfristige Rezessionsgefahr angesichts der weniger schlechten Konjunkturindikatoren zwar geringer als im Euroraum. Allerdings leidet die US-Wirtschaft noch immer unter den langwierigen Nachwirkungen der Immobilienkrise (Entschuldung im privaten Sektor und damit verbundene Konsumzurückhaltung, anhaltend hohe Arbeitslosigkeit, darniederliegender Bausektor), welche die Wachstumsdynamik auch weiterhin bremsen dürften.
Auch die in den letzten Jahren wachstumsstarken Schwellenländer (vor allem in Asien, aber auch in Lateinamerika und in Osteuropa) befinden sich in einer Abkühlungsphase. Diese ist vielenorts unter anderem auch auf die gestraffte Geldpolitik zurückzuführen, welche eine Überhitzung in diesen Ländern zu vermeiden versucht. Ein starker Abschwung zeichnet sich aber kaum ab, so dass die Schwellenländer trotz tieferer Wachstumsraten weiterhin eine Stütze der Weltkonjunktur bleiben dürften. Im Falle einer wider Erwarten schlechteren Entwicklung hätte ausserdem die Geld- und Finanzpolitik in den Schwellenländern - im Unterschied zu vielen Industrieländern - genügend Spielraum, um kurzfristig gegenzusteuern.
Konjunkturprognose Schweiz
In der Schweiz verlief das Wirtschaftswachstum im ersten Halbjahr 2011 trotz erster Verlangsamungstendenzen noch solide. Jedoch haben sich die Anzeichen für eine deutliche Abschwächung in der zweiten Jahreshälfte verdichtet. Die markante Verschlechterung der Stimmungsindikatoren in den Sommermonaten ist ein klares Warnsignal, dass die wirtschaftliche Entwicklung bereits im 3. Quartal schwach ausfallen dürfte.
Vor allem für die Exportsektoren einschliesslich des Tourismus ist die wirtschaftliche Situation schwierig. Im bisherigen Jahresverlauf verzeichneten die Warenexporte zwar noch ein positives Wachstum, welches allerdings von regelmässigen Preissenkungen begleitet wurde. Die ungünstige Währungssituation ging bislang offenbar vor allem zu Lasten der Gewinnmargen der Unternehmen, während sich die Exportvolumen noch relativ gut gehalten haben. Als weitere Belastung kommt nun jedoch noch die nachlassende Konjunktur auf den internationalen Absatzmärkten hinzu.
Die Währungssituation hat sich durch die Festlegung der Wechselkursuntergrenze von 1,20 CHF/EUR insoweit etwas entspannt, als dass der ungebremste Höhenflug des Frankens an den Devisenmärkten gestoppt wurde. Dies könnte ein positives Stimmungssignal für die Unternehmen bedeuten und sich günstig auf die längerfristigen Investitionsplanungen (Standortentscheide) in der Schweiz auswirken. Allerdings ist der Franken auch auf den jetzigen Kursständen gegenüber praktisch sämtlichen wichtigen Währungen immer noch sehr hoch bewertet. Für die Prognose geht die Expertengruppe von der (technischen) Annahme unveränderter Wechselkurse aus (d.h. Eurokurs bis Ende 2012 auf dem aktuellen Niveau von ungefähr 1,20 CHF/EUR).
Die ungünstige Konstellation von weltwirtschaftlicher Abschwächung und starkem Franken dürfte das wirtschaftliche Wachstum in der Schweiz vorübergehend stark bremsen, wobei auch einzelne Quartale mit rückläufiger Wirtschaftsleistung nicht ausgeschlossen sind. Ein Abgleiten der Schweiz in eine eigentliche Rezession (deutlicher BIP-Rückgang über mehrere Quartale) erachtet die Expertengruppe hingegen als eher unwahrscheinlich, sofern sich das weltwirtschaftliche Umfeld nicht nochmals drastisch verschlechtert. Alles in allem erwartet die Expertengruppe für die Schweiz eine deutliche Konjunkturdelle in den nächsten Quartalen, gefolgt von einer allmählichen Erholung im Verlauf des kommenden Jahres. Für das Gesamtjahr 2011 zeichnet sich - wegen des guten ersten Halbjahrs - noch ein ansprechendes BIP-Wachstum von 1,9% ab (bisherige Prognose 2,1%). Dagegen wird die Wachstumsprognose für 2012 (bisher 1,5%) deutlich nach unten auf nur noch 0,9% korrigiert.
Mit ausgeprägten Schwächetendenzen ist hauptsächlich bei den Exporten sowie den, durch eingetrübte Absatz- und Gewinnaussichten belasteten Ausrüstungsinvestitionen der Unternehmen zu rechnen. Demgegenüber sollten die inlandorientierten Wirtschaftsbereiche die Konjunktur weiterhin stützen können und dazu beitragen, die Abschwächung zu mildern. Vor allem für die Bauinvestitionen bleibt der Ausblick dank den tiefen Zinsen und der wachsenden Bevölkerung freundlich, auch wenn der Wachstumsgipfel überschritten sein dürfte. Leicht positive Impulse sind auch vom privaten Konsum zu erwarten, wenngleich das Konsumwachstum in den letzten Quartalen durch die Eintrübung der Konsumentenstimmung sowie den vermehrten währungsbedingten Einkaufstourismus gebremst wurde und etwas unter den Erwartungen lag.
Am Arbeitsmarkt gibt es erste Anzeichen für ein Ende der positiven Entwicklung. Im August 2011 kam der Rückgang der Arbeitslosigkeit auf saisonbereinigter Basis praktisch zum Erliegen (bei einer unveränderten Arbeitslosenquote von 3%). Verschiedene vorlaufende Arbeitsmarktindikatoren deuten für die nähere Zukunft auf ein nachlassendes Beschäftigungswachstum, nicht aber einen unmittelbar bevorstehenden Rückgang hin. Im kommenden Jahr dürfte sich die Arbeitsmarktsituation leicht verschlechtern. Als Folge der konjunkturellen Schwächephase dürfte die Arbeitslosigkeit 2012 erstmals seit 2009 wieder zunehmen. Die Expertengruppe erwartet im Jahresdurchschnitt Arbeitslosenquoten von 3,1% für 2011 und 3,4% für 2012.
Beim prognostizierten Konjunkturszenario bleibt die Inflationsgefahr für 2012 trotz der, in der Schweiz und in vielen OECD-Ländern, expansiven Geldpolitik äusserst gering. Weder von den Güter- noch von den Arbeitsmärkten ist Inflationsdruck in Sicht. Auch Teuerungsimpulse von den Erdölpreisen dürften sich angesichts der globalen Konjunkturabkühlung wohl in engen Grenzen halten. Die Expertengruppe rechnet daher sowohl 2011 (0,4%) als auch 2012 (0,3%) mit sehr tiefen Inflationsraten.
Konjunkturrisiken
Die grössten Risiken für die Weltwirtschaft und die Schweiz gehen von der nach wie vor angespannten europäischen Schuldenkrise und der damit verbundenen Nervosität an den internationalen Finanzmärkten aus. Anhaltende Finanzmarktturbulenzen bergen die Gefahr negativer Rückkopplungen auf die realwirtschaftliche Konjunktur; etwa durch restriktivere Kreditbedingungen für die Wirtschaft im Fall gravierender Bankenprobleme, negative Vermögenseffekte bei einer längeren Aktienbaisse, oder generell eine verunsicherungsbedingte Investitionszurückhaltung in der Wirtschaft. Das negative Beispiel ist die Entwicklung vom Herbst 2008, als eine Vertrauenskrise an den Finanzmärkten eine weltweite konjunkturelle Abwärtsspirale mit einem Rekordeinbruch des Welthandels auslöste. Allerdings sind die Notenbanken nach den damaligen Erfahrungen seither stark darum bemüht, einer neuerlichen Finanzmarktkrise entschieden entgegenzuwirken (z.B. durch sofortige Bereitstellung zusätzlicher Liquidität). Im Hinblick auf die Staatsschuldenkrise im Euroraum dürfte die europäische Wirtschaftspolitik ausserdem bestrebt sein, eine weitere Eskalation mit Risiken für die Finanzstabilität (z.B. unkontrollierter Zahlungsausfall von Staaten) zu verhindern.
Auch wenn momentan die konjunkturellen Abwärtsrisiken klar im Vordergrund stehen, ist es doch keineswegs ausgeschlossen, dass sich die gegenwärtigen Konjunkturängste als übertrieben herausstellen, weil gewisse positive Faktoren zu wenig beachtet werden. So ist davon auszugehen, dass die temporären Bremseffekte der japanischen Natur- und Nuklearkatastrophe auf die internationale Konjunktur (Störungen der globalen Produktions- und Handelsketten) wieder nachlassen werden. Gegen einen starken Abschwung der Weltkonjunktur sprechen ausserdem die nach wie vor sehr expansive Geldpolitik in den Industrieländern, die gute Finanzlage vieler Unternehmen (ausserhalb des Finanzsektors) sowie die solide Verfassung der Schwellenländer. Eine Beruhigung des globalen Wirtschaftsumfelds könnte zudem mit einer Tieferbewertung des Frankens einhergehen (wegen nachlassender Safe-Haven-Nachfrage), mit positiven Folgen für die schweizerische Konjunktur.
Anhang:
• Ausgewählte Prognoseergebnisse zur schweizerischen Wirtschaft (pdf, 24kb)
(SECO, 20.09.2011)