Kommentare zur Abwertung Italiens

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Kommentare zu Europa / Finanzkrise / Italien

Hamburger Abendblatt zur Abwertung Italiens
Ein Kommentar von Oliver Schade

Nun haben die Rating-Agenturen also Italien ins Visier genommen. Die Regierung in Rom kann die Herabstufung der eigenen Kreditwürdigkeit durch Standard & Poor's selbstverständlich nicht nachvollziehen und gibt lieber den Medien die Schuld. Sie hätten mit falschen Darstellungen über die Finanzlage des Landes die Herabstufung verursacht. Dabei sind die Fakten eindeutig: Italien hat in den vergangenen Jahren einen der höchsten Schuldenberge in der Eurozone angehäuft. Er liegt bei rund 1,9 Billionen Euro, was 120 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung entspricht. Erlaubt sind 60 Prozent nach dem Vertrag von Maastricht. Das aktuelle Haushaltsdefizit Italiens beträgt 3,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, obwohl nur drei Prozent zugelassen sind. Zudem wächst die Wirtschaft des Landes kaum noch und die Aussichten für das kommende Jahr sind alles andere als rosig. Italien ist folglich massiv überschuldet, und die Konjunktur droht komplett zu erlahmen. Dass die Rating-Agenturen potenzielle Käufer italienischer Staatsanleihen auf diese Problematik hinweisen, ist nicht nur ihr Recht, sondern ihre Pflicht. Irland, Griechenland, Portugal, Spanien und Italien - die Rating-Agenturen kennen keine Gnade. Und die Liste der Eurostaaten mit schwindender Kreditwürdigkeit wird in den kommenden Monaten noch länger werden - daran kann es keinen Zweifel geben. Denn Euroland befindet sich insgesamt in einer tiefen Schuldenkrise. Es handelt sich längst nicht mehr um Probleme einzelner Staaten. Die Regierenden von Madrid über Berlin bis Helsinki vermitteln keinesfalls den Eindruck, als ob sie die äusserst prekäre Situation im Griff haben. Zwar wird von Politikern, Zentralbankern und Ökonomen beinahe täglich über die nahende Pleite Griechenlands schwadroniert. Aber wie eine solche Insolvenz in der Praxis ablaufen soll, darüber schweigen sich die Kassandra-Rufer aus. Die Eurozone braucht dringend klare Regeln für eine Staatspleite. Das private Insolvenzrecht könnte hier als Vorbild dienen. Die Gläubiger müssen von einem neutralen Schlichter an einen Tisch geholt werden, einem Forderungsverzicht zustimmen und im Gegenzug hat der Schuldner für die Zukunft strenge Sparauflagen einzuhalten. Denn nur dann hat der Gläubiger die Chance, wenigstens einen Teil seiner Forderung zurück zu bekommen. Aber genau beim Thema Sparen klaffen in der gesamten Eurozone seit Jahrzehnten Reden und Handeln weit auseinander. Zwar fehlt das Ziel des Schuldenabbaus in nahezu keinem Wahlprogramm einer regierenden Partei in Europa, doch der Mut zu tiefen, auch schmerzhaften Einschnitten bei Subventionen und Sozialleistungen ist nicht vorhanden. Lieber werden Wahlen mit vollmundigen, teuren Versprechen gewonnen und die Lösung des kaum noch zu kontrollierenden Problems der Staatsverschuldung auf unbestimmte Zeit verschoben. Der Schuldenberg Deutschlands wächst derzeit um mehr als 136‘000 Euro - in der Minute! Wir müssen also nicht mit dem Finger auf Griechen, Iren oder Italiener zeigen. Die Meister der roten Zahlen sitzen im eigenen Land. Schliesslich war es die Bundesrepublik, die zusammen mit Frankreich 2002 erstmals gegen die Maastricht-Kriterien verstossen hat. Schon kurze Zeit nach Einführung des Euro signalisierten die Deutschen damit dem Rest Europas, dass die fest geschriebenen Schuldengrenzen nicht ganz so ernst genommen werden müssen. Eine Haltung, die heute weit verbreitet ist in der Eurozone. Die Regierenden müssen endlich ernst machen mit dem Schuldenabbau und die Verantwortlichen für die aktuelle Euro-Misere nicht bei den Rating-Agenturen oder Medien suchen. Es ist höchste Zeit, auch mal unpopuläre Entscheidungen zu treffen.

Neue Osnabrücker Zeitung (D) - Schrilles Alarmsignal

Traurig, aber wahr: Die Italiener werden mehr und mehr zu Sorgenkindern der EU und speziell der Euro-Zone. Die Wirtschaft lahmt, das Land ist masslos überschuldet und, was am schwersten wiegt: Italien wird hundsmiserabel regiert. Erst spät, viel zu spät, hat sich die zögerliche und allzu sehr aufs eigene Wohl bedachte Regierung Berlusconi zu Reformen aufgerafft, mit dramatischen Folgen. Die Schulden sind auf 1,9 Billionen Euro gestiegen, fast 120 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung. Erlaubt wären nach den EU-Kriterien nur 60 Prozent.

Eine Herabstufung der Kreditwürdigkeit war vor diesem Hintergrund nur eine Frage der Zeit. Doch Berlusconi hat immer noch nicht verstanden. Statt auf die Ratingagenturen zu schimpfen, sollte er deren Kritik annehmen oder, besser noch, endlich fähigeren Politikern das Feld überlassen. Zwar ist Italien weit von einer Zahlungsunfähigkeit entfernt und die Lage in Griechenland ungleich dramatischer. Auch hat die italienische Wirtschaft im Gegensatz zur griechischen ein festes industrielles Fundament. Dennoch ist die Herabstufung Italiens ein schrilles Alarmzeichen. Denn immerhin geht es um die drittgrösste Volkswirtschaft der Euro-Zone. Schon jetzt wird sie durch die Europäische Zentralbank massiv unterstützt. Geht es mit Italien noch weiter bergab, droht dem Euro massiver Schaden.

Westdeutsche Allgemeine Zeitung - Pure Hilflosigkeit
Kommentar von Stefan Schulte

Wenn Bürger keine schlechten Nachrichten mehr hören wollen, ist das verständlich. Wenn Politiker die Zeichen der Zeit ignorieren, ist das Arbeitsverweigerung.

Während die deutsche Regierung mit sich und Nordeuropa mit Südeuropa ringt, schaffen die Finanzmärkte Fakten. Sie ziehen Geld aus französischen Banken ab. Standard & Poor's stuft die Bonität Italiens herab. Und der Politik fällt nichts weiter ein, als die Ratingagentur zu beschimpfen. Als würde das irgendetwas ändern. Die Hilflosigkeit der Retter ist beängstigend, sie haben offenkundig den Ernst der Lage nicht ansatzweise begriffen. Die Finanzmärkte hätten hier nichts zu sagen - sagte Wirtschaftsminister Rösler unlängst. Wie taub kann man sein?

Die Finanzmärkte handeln derzeit absolut rational. Das einzige, was sie aus Brüssel hören, ist, was alles nicht kommt. Keine Eurobonds, keine Vereinigten Staaten von Europa. Also müssen sie davon ausgehen, dass die Sache aus dem Ruder läuft. Europa ist an dem Punkt, wo es fast egal ist, was man tut - Hauptsache, man tut etwas. Sonst müssen wir nicht nur Griechenland, sondern auch noch Banken retten. Je später, desto mehr Banken werden und desto teurer wird es.

Börsen-Zeitung (D) - Rezessions-Menetekel
Kommentar zur Konjunktur von Stephan Lorz

Zunächst war es nur eine Krise im amerikanischen Hypothekensektor, dann weitete sie sich zur Bankenkrise aus, und zuletzt hatte sich auch die Konjunktur angesteckt. Die Welt stürzte in eine tiefe Rezession. Alle Brandmauern zwischen den Sektoren waren niedergerissen, weil über die Transmissionskanäle der Finanzmärkte - Börsen und Banken - immer mehr Akteure in Mitleidenschaft gezogen wurden. Das war in den Jahren 2008/2009.

Auch wenn Analysten die gegenwärtige konjunkturelle Situation noch als "Konjunkturschwäche" abtun, die Prognoserevisionen sich in Grenzen halten und Institutionen wie die Deutsche Bundesbank auf Optimismus machen: Die aktuelle Konjunkturlage ähnelt der Entwicklung vor drei Jahren durchaus - und das macht die Situation so brandgefährlich. Zunächst ging es auch hier um ein begrenztes Problem: die Schuldenkrise Griechenlands. Ein Rettungspaket wurde geschnürt. Dann reagierten die Märkte zudem auf die fiskalischen Schieflagen von Irland, Portugal und Spanien. Der Euro-Rettungsfonds für den gesamten Währungsraum wurde auf Kiel gelegt. Ratingagenturen begannen im Wechselspiel mit der Bonitätsherabstufung der angezählten Staaten, was die Lage noch verschlimmerte. Ökonomen, Politiker, Investoren reden von Staatspleiten, von Gläubigerbeteiligung, vom Auseinanderbrechen der Eurozone, vom Ausscheren Deutschlands aus der Euro-Solidarität. Die Schuldenkrise nimmt immer neue Dimensionen an. Kein Szenario wird mehr ausgeschlossen.

Zuletzt konnte sich Deutschland noch davon abschirmen. Die Konjunktur lief glänzend. Doch nun hat sich die Lage gedreht. Die Investoren weltweit haben angesichts neuer Eskalationsstufen - auch Italien und Frankreich gerieten in den Krisensog - dem Währungsraum ihr Vertrauen entzogen. Die Börsenkurse sind eingekracht. Das hat Rückwirkungen auf die Konjunktur: Verunsicherung macht sich breit, Investoren und Konsumenten halten sich zurück. Der IWF spricht von einer "gefährlichen Phase" für die Weltwirtschaft.

Der ZEW-Indikator der Konjunkturerwartungen ist jetzt auf den tiefsten Stand seit Dezember 2008 gefallen! Auch alle anderen Stimmungsindikatoren sind auf dem Weg nach unten. Schafft es die Politik nicht bald, die Menschen von ihrem Krisenbewältigungskonzept zu überzeugen, steht die nächste Rezession bereits vor der Tür. Und die wird angesichts überschuldeter Staaten härter und dramatischer ausfallen als davor. Keiner schert sich dann noch um den Zusammenhalt des Euroraums.

Bild: Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi und Wirtschaftsminister Giulio Tremonti

(ots, 20.09.2011)

Weshalb diese Kommentare? Hier für Sie eine kurze Zusammenfassung zur Herabstufung Italiens:

Am 20.09.2011 hat die Ratingagentur Standard & Poor’s die Kreditwürdigkeit Italiens aufgrund hohen Schulden, wenig Wachstum und fragile Regierung von „A+“ auf „A“ herabgestuft.

Berlusconi protestierte: Die Herabstufung sei ungerechtfertigt und die Bewertung scheine mehr von Medienberichten als von der Realität diktiert worden zu sein, warf er der amerikanischen Ratingagentur vor.

Nach der Herabstufung drohen Italien nun höhere Zinsen bei der Aufnahme neuer Kredite. Denn, je schlechter die Kreditwürdigkeit, desto grösser erscheint das Risiko, dass die Gläubiger ihr Geld „verlieren“. Derzeit hat Italien im Verhältnis zu seiner Wirtschaftsleistung den zweithöchsten Schuldenstand in der Eurozone.

Für das laufende Jahr prognostiziert die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) eine Stagnation der italienischen Wirtschaft. Der Internationale Währungsfonds (IWF) senkte kürzlich seine Erwartungen betreffend italienischem Wirtschaftswachstum für 2012 von 0,7 auf 0,5 Prozent.