Kantone müssen Seen renaturieren

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Renaturierung von Flüssen und Seen in Gewässerschutzverordnung verankert

Die Schweizer Fliessgewässer und Seen werden wieder naturnaher. Am 4. Mai 2011 hat der Bundesrat die entsprechenden Änderungen der Gewässerschutzverordnung verabschiedet. Diese präzisieren die Bestimmungen über die Renaturierung der Gewässer, die vom Parlament Ende 2009 verabschiedet worden waren. Die Stromproduktion ist nicht eingeschränkt.

Die vom Parlament beschlossene Gewässerrenaturierung ist ein Meilenstein für den Gewässerschutz in der Schweiz: Die Flüsse und Seen unseres Landes werden wieder naturnaher. Innerhalb der kommenden 20 Jahre werden die negativen Auswirkungen der Speicherseen, welche zu grossen Abflussspitzen bei der Rückgabe des Wassers führen, vermindert (siehe Kasten 1). Zudem werden die Uferzonen zu attraktiveren Erholungsräumen für die Bevölkerung aufgewertet.

Die vom Bundesrat verabschiedeten Änderungen der Gewässerschutzverordnung präzisieren die Neuerungen im Gewässerschutzgesetz (siehe Kasten 2). Im Rahmen der Anhörung stiess der Änderungsentwurf auf mehrheitlich positives Echo. Unter Berücksichtigung der eingegangenen Stellungnahmen wurde der Entwurf hauptsächlich in den folgenden 3 Punkten überarbeitet.

Gewässerraum: In der Anhörung wurde eine gewisse Flexibilisierung der Definition des Gewässerraums gefordert. Neu sieht die Gewässerschutzverordnung vor, dass dieser Raum in urbanen Gebieten vermindert werden kann und dass die Kantone bei eingedolten oder künstlichen Fliessgewässern auf eine Festlegung des Gewässerraums verzichten können. Ausserhalb der Bauzone wird für kleine und mittlere Gewässer der minimale Gewässerraum in der Verordung festgelegt, für Gewässer mit einer Breite ab 15 Meter natürliche Gerinnesohle muss der Kanton den Gewässerraum zur Gewährleistung der natürlichen Funktionen und des Hochwasserschutzes festlegen. Es handelt sich hierbei um ein grundlegendes, vom Parlament beschlossenes Element, welches die auf ca. 4‘000 km begrenzten Revitalisierungen ergänzt (siehe Kasten 2).

Die im Gewässerraum liegenden Fruchtfolgeflächen können als Potenzial dem kantonalen Kontingent angerechnet werden.

Gestaltung und Bewirtschaftung des Gewässerraums: Auch im Hinblick auf die Gestaltung und Bewirtschaftung des ausgeschiedenen Gewässerraums wurde eine gewisse Flexibilisierung gewünscht. Im Siedlungsgebiet besteht künftig die Möglichkeit, die Erstellung neuer Anlagen in Ausnahmefällen zuzulassen. In ländlichen Gebieten hingegen soll der Gewässerraum wie im Gewässerschutzgesetz vorgesehen extensiv bewirtschaftet werden. Für die damit verbundenen Nutzungseinschränkungen werden die Landwirte entschädigt. Zu diesem Zweck wurde das Landwirtschaftsbudget um 20 Millionen Franken pro Jahr aufgestockt.

Wesentliche Beeinträchtigungen durch Schwall und Sunk: Auf den im Verordnungsentwurf vorgesehenen Grenzwert, ab dem eine Beeinträchtigung als wesentlich gilt (Verhältnis von 5 : 1), wird verzichtet. Die Tragweite der Beeinträchtigungen muss von den Kantonen auf der Grundlage ökologischer Kriterien beurteilt werden. Dabei wird die Stromproduktion nicht eingeschränkt (siehe Kasten 2).

Planung von Revitalisierungen bis Ende 2014

Die Änderungen der Gewässerschutzverordnung sowie jene der Verordnungen zu den Bundesgesetzen über die Fischerei, den Wasserbau und die Energie, welche den Zeitplan und das Verfahren der verschiedenen Planungen definieren, treten am 1. Juni 2011 in Kraft.

Innerhalb von vier Jahren müssen die Kantone ihre Planungen der Fliessgewässerrevitalisierungen und der Massnahmen zur Sanierung der Wasserkraft erstellen. Die Planung der Renaturierung von stehenden Gewässern muss bis Ende 2018 abgeschlossen sein. Der Bund beteiligt sich an der Finanzierung von Arbeiten, die für die Erreichung der Renaturierungsziele und für die Umsetzung von im Hinblick auf Wirkung und Kosten optimalen Lösungen wesentlich sind.

KASTEN 1:
Auswirkungen von Schwall und Sunk

In Fliessgewässern können die Abflüsse unterhalb von Speicherkraftwerkzentralen täglich schwanken. Wenn in Zeiten grossen Strombedarfs mehr Wasser turbiniert wird, entsteht ein Schwall. Der Begriff Sunk steht für die Niedrigwasserphase, die zwischen den Schwällen in Zeiten mit geringem Strombedarf auftritt, also meist in der Nacht und am Wochenende. Bei diesen kurzfristigen Abflussschwankungen kann der Maximalabfluss (Schwall) 10 bis 40 mal grösser sein als der Minimalabfluss (Sunk). Dies hat unter anderem negative Auswirkungen auf die Wassertiere: bei Schwall werden sie abgeschwemmt und bei Sunk stranden sie. Rund 25% der mittleren bis grossen Wasserkraftwerke, d.h. schätzungsweise 100 Wasserkraftwerke, weisen einen Schwallbetrieb auf.

KASTEN 2:
Fliessgewässer und Seen wieder naturnaher machen

Im Dezember 2009 hat das Parlament die Änderungen des Gewässerschutz- und des Energiegesetzes gutgeheissen und damit die Voraussetzung für die Renaturierung der Schweizer Flüsse und Seen geschaffen. Diese Bestimmungen wurden als Gegenvorschlag zur Volksinitiative «Lebendiges Wasser» ausgearbeitet.

Während die Initiative eine umfassende Gewässerrevitalisierung forderte, beschloss das Parlament, dass von den 15 000 km stark verbauten Gewässerabschnitten 4000 km revitalisiert werden sollen. Im Gegenzug sollte jedoch ergänzend zu diesen Revitalisierungen in der ganzen Schweiz entlang von Fliessgewässern und rund um stehende Gewässer ein minimaler Gewässerraum ausgeschieden werden. Durchschnittlich 65 % der Kosten für die Revitalisierungen werden vom Bund mitfinanziert. Dies entspricht rund 40 Mio. Franken pro Jahr. Die Initiantinnen und Initianten erachteten diese Bestimmungen als ausreichend und zogen ihre Initiative zurück.

Ausserdem beschloss das Parlament, dass der Gewässerraum extensiv bewirtschaftet werden muss und dass die damit verbundenen Nutzungseinschränkungen im ländlichen Raum durch Direktzahlungen abgegolten werden. Zu diesem Zweck wurde das Landwirtschaftsbudget um 20 Millionen Franken pro Jahr erhöht.

In Bezug auf die Sanierungsmassnahmen zur Beseitigung von Beeinträchtigungen durch die Wasserkraftnutzung (Schwall und Sunk, Störung des Geschiebehaushalts im Gerinne des betreffenden Fliessgewässers, Unterbrechung der Fischwanderung) hat das Parlament beschlossen, dass diese Massnahmen die wohlerworbenen Rechte und die Produktion nicht einschränken dürfen. Vorgesehen sind in erster Linie sogenannte bauliche Massnahmen, beispielsweise die Errichtung von Ausgleichsbecken zur Milderung der Auswirkungen von Schwall und Sunk. Die Kraftwerksbetreiber werden dafür über einen Zuschlag von 0,1 Rappen pro Kilowattstunde (Rp/kWh) auf die Übertragungskosten der Hochspannungsnetze entschädigt, der von den Konsumentinnen und Konsumenten bezahlt wird. Mit dieser Abgabe werden jährlich knapp 50 Millionen Franken zur Verfügung stehen.

(BR, 04.05.2011)