Erste Bilanz zur Wachstumspolitik 2008-2011
Der Bundesrat hat am 22. Juni 2011 Kenntnis vom jährlichen Zwischenbericht über die Umsetzung der Wachstumspolitik 2008-2011 genommen und eine erste Bilanz gezogen. Gleichzeitig hat er die Agenda um eine Massnahme im Bankenbereich, die Botschaft zu „Too big to fail“, erweitert. Trotz verschiedener Fortschritte kommt die Wachstumspolitik 2008-2011 aufgrund von Rückschlägen, die 2010 eingetreten sind, nicht planmässig voran.
Mit der Wachstumspolitik will der Bundesrat die wirtschaftliche Prosperität der Schweiz durch geeignete Strukturreformen sichern. Die wachstumspolitische Agenda 2008-2011 enthält insgesamt 20 Massnahmen, die in sechs wirtschaftspolitische Handlungsfelder fallen:
- Stärkung des Wettbewerbs im Binnenmarkt
- Internationale Öffnung
- Optimierung der öffentlichen Finanzen
- Wahrung der hohen Erwerbsbeteiligung
- Förderung des Humankapitals und
- Schaffung eines unternehmensfreundlichen Rechtsrahmens
Von den 20 Massnahmen sind derzeit drei Massnahmen umgesetzt worden:
Einführung des „Cassis-de-Dijon"-Prinzips und Bestätigung sowie Erweiterung des Personenfreizügigkeitsabkommens mit der EU.
Vier Massnahmen kommen im geplanten Rhythmus voran:
Weiterentwicklung der Agrarpolitik ab 2012, Umsetzung der Aufgabenüberprüfung, Umsetzung der Strategie E-Government Schweiz und Administrative Entlastung.
Bei drei Massnahmen hat es beschränkt einen Zeitverzug gegeben:
Infrastrukturstrategie des Bundesrates, Teilrevision des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, Neue Hochschullandschaft.
Im Rahmen der aussenwirtschaftspolitischen Strategie können ausserdem erfolgreiche Abschlüsse von Freihandelsabkommen verzeichnet werden; im Rahmen der EFTA (seit 2008 Kanada, Kolumbien, Peru, Golfkooperationsrat, Hongkong, Albanien, Serbien, Ukraine) oder bilateral (Japan). Dagegen stehen der Abschluss eines Freihandelsabkommens mit der EU im Bereich der Landwirtschaft und Gesundheit und der Abschluss der Doha-Runde aus.
Trotz Fortschritten kommt die Umsetzung der Wachstumspolitik 2008-2011, anders als noch im Jahr 2009, nicht mehr planmässig voran:
Zwei Massnahmenwaren schon früh auf die nächste Legislaturperiode verschoben worden: Schaffung der Voraussetzung für Versuche mit „Road Pricing", das gegebenenfalls zum „mobility pricing" werden soll, sowie die neue Weiterbildungspolitik mit einem Gesetz über die lebenslange Weiterbildung.
Zwei Massnahmen erreichen definitiv die ursprünglichen Zielsetzungen nicht:
Die Revision des Bundesgesetzes über das öffentliche Beschaffungswesen aufgrund des Widerstands der Kantone gegen eine Zentralisierung und die Anpassung der Altersvorsorge an die demographische Entwicklung mit der 11. AHV-Reform.
Drei Massnahmen sind 2010 von wesentlichen Reformelementen entledigt worden:
Totalrevision der Postgesetzgebung, wo ein Monopolbereich bleiben wird, die Weiterführung der Bahnreform, wo es kaum zur systematischen Ausschreibung von Leistungsaufträgen im Personenschienennahverkehr kommt, sowie die Reform der Mehrwertsteuer, wo sich der Einheitssatz nicht durchsetzen dürfte. Die Entwicklung ist Ausdruck des Parlamentswillens.
Bis Ende 2011 sind noch folgende Vorhaben durch den Bundesrat zu verabschieden: Agrarpolitik 2014-2017 sowie Teilaspekte in den Bereichen eGovernment, administrative Entlastung und Aufgabenüberprüfung. Aus dem Massnahmenpaket 2008-2011 stehen im Parlament im Moment die Revision des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG) und die neue Hochschullandschaft (Differenzbereinigung) in Diskussion.
Aus dem vorherigen Wachstumspaket 2004-2007 sind im Parlament ausserdem weiterhin Elemente der Gesundheitsreform hängig.
Gemäss Bundesratsbeschluss vom 2. April 2008 hat das EVD auch den Auftrag, neue Vorschläge für die Wachstumspolitik 2008-2011 zu unterbreiten. Diese Massnahmen sollen gesamtwirtschaftlich spürbare Wachstumseffekte erzielen und nach Möglichkeit in der laufenden Legislaturperiode realisiert werden. Demzufolge hat der Bundesrat am 22. Juni 2011 beschlossen, die Botschaft zur Änderung des Bankengesetzes (Stärkung der Stabilität im Finanzsektor; too big to fail) als weitere Massnahme hinzuzufügen. Insolvente systemrelevante Banken können den finanzpolitischen Spielraum und die Wachstumsaussichten auf Jahre hinaus gravierend beeinträchtigen.
Fazit: Der wirtschaftliche Stellenwert der 2010 eingetretenen Rückschläge ist bedeutend. Hinzu kommt, dass auch bereits verabschiedete Vorlagen bestritten werden (Cassis de Dijon-Prinzip, Personenfreizügigkeit).
Bei ausbleibenden Reformen ist eine Abschwächung der trendmässigen Wachstumsrate der Arbeitsproduktivität allerdings bereits in der mittleren Frist möglich. Umso bedeutender wird es sein, in der kommenden Legislatur neue Massnahmen auf die Reformagenda zu setzen. Im Kontext der anstehenden Legislaturplanung sollten zudem die Möglichkeiten genutzt werden, auf die Massnahmen der Wachstumspolitik 2008-2011, die nicht zum Erfolg geführt werden konnten, zurückzukommen. Das Parlament hat solche Möglichkeiten teils explizit offengelassen.
Link-Tipp
(BR, 22.06.2011)