Bundesanwaltschaft erhebt Anklage gegen terrorverdächtige Iraker

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Terror-Propaganda im Internet: Bundesanwaltschaft erhebt Anklage gegen Brüderpaar

Ausgangslage des von der Bundesanwaltschaft (BA) untersuchten Falles ist die Gründung und Beteiligung an einer kriminellen terroristischen Organisation mit Zugehörigkeit zum Al-Qaïda-Netzwerk. Die BA bringt den Fall jetzt vor Gericht und erhebt Anklage gegen zwei aus dem Irak stammende kurdische Brüder. Der Vorwurf lautet Beteiligung an einer kriminellen Organisation mit terroristischer Zielsetzung unter der Führung von Najmuddin Faraj Ahmad alias Mullah Krekar, dem Gründer und ehemaligen Führer der terroristischen Organisation Ansar al Islam.

Gemäss Anklage wurde unter Beteiligung des älteren der beiden Brüder und unter der Führung von Mullah Krekar eine neue terroristische Organisation mit nach aussen geheim gehaltenem Aufbau und Führungsstruktur gegründet und geführt. Diese Organisation, welche als Supportorganisation innerhalb des Al-Qaïda-Netzwerkes auf Dauer angelegt war, betrieb verschiedene Internetplattformen zur propagandistischen Verbreitung von terroristischen Anschlägen und Botschaften des Al-Qaïda-Netzwerkes. Sie unterhielt auch offene und geschlossene Chaträume als virtuelle Sitzungsräume und Kontaktforen für potentielle und aktive Sympathisanten, Unterstützer und Mitglieder dieser neuen sowie anderer terroristischer Organisationen des Al-Qaïda-Netzwerkes. Weiter vertrieb die Organisation auch Zeitschriften und Büchern und sammelte so Geld für die Umsetzung ihrer Ziele. Die neugegründete Organisation verfügte über Mitglieder in mehreren europäischen Ländern. Nach Erkenntnissen der BA hatte sie die Zielsetzung, zur Verfolgung und zur Durchsetzung des Zwecks des Al-Qaïda-Netzwerkes beizutragen und damit mittels der Begehung von Gewaltverbrechen die weltweite Einführung des islamischen Kalifates auf der Basis der Schari'a zu erreichen.

Die neugegründete terroristische Organisation verfolgte eine mehrstufige Strategie, um neue Mitglieder und Unterstützer zu gewinnen und damit auch bestehende Organisationen des Al-Qaïda-Netzwerkes zu stärken. Die erste Stufe bestand darin, über die verschiedenen Internetplattformen mit salafistisch-jihadistischer Ausrichtung Interessenten anzulocken und zur aktiven Teilnahme in Form von Einträgen und Kommentaren zu bewegen. In einer zweiten Stufe wurden diese Personen von Mullah Krekar und den Kadern der neuen Organisation, zu denen auch der ältere Bruder zählte, auf ihre jihadistisch-salafistische Gesinnung hin überprüft. Den als vertrauenswürdig Eingestuften wurde alsdann Zugang zu den geschlossenen Chaträumen der Organisation gewährt. In diesen Chaträumen wurden engere Kontakte mit Kadern der Organisation ermöglicht. Der Zugang zur dritten Stufe - und damit die Kenntnis der Strategie der Organisation, der inneren Führungs- und Entscheidstruktur - war nur dem innersten Führungszirkel der Organisation vorbehalten.

Beteiligung der von der BA beschuldigten Personen

Dem älteren der beiden Brüder wird gemäss Anklage vorgeworfen, innerhalb der neugegründeten Organisation verschiedene Schlüsselfunktionen innegehabt zu haben. Im Einzelnen wird ihm vorgeworfen, in enger Absprache mit Mullah Krekar für die Organisation ein Webforum sowie verschiedene Webseiten und Chaträume eingerichtet, betrieben sowie teilweise finanziert zu haben. Weiter wird ihm hauptsächlich vorgeworfen, Botschaften zwischen Mullah Krekar und bewaffneten, der Al-Qaïda nahestehenden terroristischen Gruppierungen im Irak übermittelt zu haben. Er soll auch im direkten Kontakt mit deren Exponenten Videomitteilungen über von diesen Gruppierungen begangene terroristische Anschläge entgegengenommen und im Webforum der neuen Organisation publiziert und kommentiert haben.

Der jüngere der beiden Brüder soll sich laut Anklage im Wissen um die terroristische Zielsetzung der neuen, kriminellen Organisation auf deren Internetplattformen und in den Chaträumen, welche sein Bruder für diese Organisation betrieb, aktiv beteiligt haben. Er übernahm dort verschiedene Funktionen und verfasste eigene Textbeiträge mit entsprechendem Bildmaterial. Die Anklage wirft ihm damit vor, aus eigenem Entschluss zur Verfolgung und zur Durchsetzung des Zwecks des Al-Qaïda-Netzwerkes beigetragen zu haben.

Beiden Beschuldigten wird gemäss Anklage vorgeworfen, unter verschiedenen Benutzernamen eine Vielzahl von Beiträgen namentlich auf dem Webforum der neuen terroristischen Organisation verfasst und veröffentlicht zu haben. Inhaltlich ging es um die Verbreitung von terroristischen Anschlägen islamistisch-extremistischer Organisationen, so u.a. der Al-Qaïda selbst und der Ansar al Islam. Dazu gehörten auch Aufrufe und Botschaften von Vertretern der Al-Qaïda wie Usama bin Laden und Ayman al Zawahiri. Sie sollen ausserdem mehrfach Videos mit brutal vorgenommenen Hinrichtungen von wehrlosen Personen von ausländischen Webseiten heruntergeladen und auf ihren Computern gespeichert haben.

Die Ermittlungen der BA haben ergeben, dass beide Brüder einen Grossteil ihrer Zeit in den Dienst der neugegründeten kriminellen Organisation stellten und den Aufbau bzw. die Funktionsweise der unter der Führung von Mullah Krekar stehenden Organisation mit ihrem Handeln wesentlich beeinflussten. Den beiden Kurden war nach ihrer Einreise in die Schweiz Asyl gewährt und sie waren als Flüchtlinge anerkannt worden. Gegen den zwischenzeitlich durch das Bundesamt für Migration erfolgten Widerruf des Asyls und die Aberkennung des Flüchtlingsstatus sind gegenwärtig noch Beschwerden beim Bundesverwaltungsgericht hängig.

Die von der BA beschuldigten Personen müssen sich jetzt vor dem Bundesstrafgericht in Bellinzona verantworten. Die BA erhebt Anklage wegen Verdachts auf Beteiligung an bzw. Unterstützung einer kriminellen Organisation (Art. 260ter des Schweizerischen Strafgesetzbuches; StGB), wegen Verdachts der öffentlichen Aufforderung zu Verbrechen oder zu Gewalttätigkeit (Art. 259 StGB) und Gewaltdarstellungen (Art. 135 Abs. 1 StGB) sowie wegen Urkundenfälschung und weiteren Delikten.

Für die beschuldigten Personen gilt bis zur gerichtlichen Beurteilung die Unschuldsvermutung.

(BA, 01.10.2012)

'Al-Qaïda'

Die Al-Qaïda verkörpert die Ideologie des jihadistischen Salafismus, d.h. der gewaltextremistischen Variante des sunnitischen Salafismus. Oberste Maxime ist dabei der globale Jihad, der als Krieg im Namen des Islams verstanden wird. Im Kontext des Jihadismus steht die Al-Qaïda für terroristische Anschläge, die mit äusserster Brutalität ausgeführt werden und darauf abzielen, eine grösstmögliche Anzahl von Menschen zu töten. Das Ziel dieses von den Jihadisten befürworteten gewaltsamen Vorgehens ist die Errichtung des salafistischen Gemeinwesens, d.h. des sogenannten Kalifates auf der Grundlage der Schari’a, d.h. die Gesamtheit der Gesetze, die in einer islamischen Gesellschaft zu beachten und zu befolgen sind, zuerst im gesamten islamischen Raum und danach auf der ganzen Welt. Die neue, unter der Führung von Mullah Krekar gegründete terroristische Organisation definiert sich mit ihrem Vorgehen über diese Zielsetzung und positioniert sich dabei ausdrücklich als Nachfolgeorganisation der ehemals von Mullah Krekar angeführten Ansar al Islam.

Die Al-Qaïda selbst sowie Tarn- und Nachfolgegruppierungen der Al-Qaïda sowie Organisationen und Gruppierungen, die in Führung, Zielsetzung und Mitteln mit der Al-Qaïda übereinstimmen oder in ihrem Auftrag handeln, darunter auch die Ansar al Islam, sind in der Schweiz gemäss Verordnung der Bundesversammlung seit November 2001 verboten (SR 122, Verordnung vom 23. Dezember 2011, Stand am 1. Januar 2012 und Botschaft des Bundesrates vom 18. Mai 2011, BBl 2011 4495).

Von der EU wurde die Ansar al Islam 2002 als terroristische Vereinigung eingestuft (Verordnung [EG] Nr. 881/2002 des Rates vom 27.Mai 2002). Am 20. Februar 2003 nahm der UN-Sicherheitsrat die AAI in die Liste der terroristischen Vereinigungen auf. Die AAI ist im Anhang 2 zur Verordnung über Massnahmen gegenüber Personen und Organisationen mit Verbindungen zu Usama bin Laden, der Gruppierung Al-Qaïda oder den Taliban vom 2. Oktober 2000 aufgeführt (SR 946.203, S. 104, Stand 4. August 2012).

Mullah Krekar lebt bis heute in Norwegen. Sein dort gestellter Asylantrag wurde abgelehnt. Mit Urteil vom 26. März 2012 des Amtsgerichts Oslo wurde Mullah Krekar zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt wegen schwerer Drohung in mehreren Fällen, teilweise wegen Drohung, eine Tötung zu begehen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. In diesem Urteil hielt das Amtsgericht Oslo fest, Krekar sei ein „bekannter Jihadist““ und sei wie andere Jihadisten „der Meinung, dass es die dringendste Aufgabe der Moslems sei, die Ungläubigen durch bewaffneten Kampf aus ihren Gebieten zu vertreiben“. Das Gericht verwies darauf, Krekar habe nicht nur umfassende Kontakte zu den europäischen Jihadisten, sondern könne sich auch auf die Autorität berufen, die er geniesse, weil er Jihadisten wie Usama bin Laden und Abdullah Azzan [recte: Azzam] persönlich getroffen habe. Dazu verwies das Gericht insbesondere darauf, dass Krekar am 10. Juni 2010 anlässlich einer Pressekonferenz gesagt habe, er sei „nichts im Vergleich zu bin Laden, denn er ist alles“ und dass Krekar bin Laden bei dieser Gelegenheit wie folgt beschrieben habe: „ein ehrenvoller Mann, gläubig, heldenhaft, wagemutig, ein Moslem, erfolgreich... Er ist unser Mann, bin Laden, mutiger als die anderen, ehrenvoll und rein“.

Das Gericht verwies in diesem Zusammenhang weiter darauf, dass Krekar an der erwähnten Pressekonferenz insbesondere auch Selbstmordanschläge ausdrücklich befürwortet beziehungsweise verherrlicht habe, womit er eine Aufforderung geäussert habe, die Anschläge unter anderem im Irak und gegen amerikanische Interessen sowie gegen amerikanisches Personal fortzusetzen. Das Gericht ging auch auf die Vergangenheit von Krekar als Anführer der terroristischen Organisation Ansar al Islam ein und hielt dazu fest, diese Organisation habe „mehr Videos von Selbstmordanschlägen, Strassenbomben, Entführungen und Enthauptungen veröffentlicht als irgendeine andere Jihad-Organisation, abgesehen von Al-Qaïda.“ Nach Einschätzung des Amtsgerichts Oslo in diesem Urteil handelt es sich bei Krekar angesichts seines Hintergrundes und seiner Fähigkeiten um jemanden, der „einen erheblichen Einfluss auf seine Anhänger und Sympathisanten ausüben“ könne. Mullah Krekar ist im Anhang 2 zur Verordnung über Massnahmen gegenüber Personen und Organisationen mit Verbindungen zu Usama bin Laden, der Gruppierung Al-Qaïda oder den Taliban vom 2. Oktober 2000, S. 48 (Stand 4. August 2012, SR 946.203) aufgeführt. Mullah Krekar ist ebenfalls in der Verordnung (EG) Nr. 881/2002 des Rates vom 27. Mai 2002, Anhang 1 aufgeführt.